Nasenkorrekturen, Fettabsaugen oder Brustvergrößerungen. Ästhetische Eingriffe am menschlichen Körper sind heute keine Seltenheit mehr, um (u.a.) verbreiteten Idealvorstellungen der Zeit zu entsprechen. Doch auch seit der Ur- und Frühgeschichte der Menschheit gab es gezielte Veränderungen des Körpers, die jedoch teilweise völlig anders geartet waren. Wie zum Beispiel die künstliche Veränderung der Schädelform.

Aus heutiger Sicht mag eine Manipulation der Schädelknochen ungewöhnlich und befremdlich wirken, doch archäologische Funde belegen, dass solche Schädeldeformationen in fast allen Teilen der Welt seit der Vorgeschichte verbreitet waren. Vermutlich hat sich diese Praxis auch unabhängig voneinander an verschiedenen Orten entwickelt.

Die archäologischen Beweise für absichtliche Schädeldeformationen werden auf mindestens 13.000 Jahre zurückdatiert. Im 8. und 7. Jahrhundert v. Chr. war sie in Asien und Osteuropa weit verbreitet. Darüber hinaus wurden überall in Europa Beweise für absichtlich deformierte Schädel gefunden. Die bekanntesten Beispiele sind hier die hunnischen Schädeldeformationen, bei denen ein langgezogener und hoher Schädel erzielt werden sollte. In einem merowingerzeitlichen Gräberfeld in Altenerding in Oberbayern fanden sich gleich mehrere Frauenbestattungen, bei denen eine den hunnischen Formen folgende Schädeldeformation festgestellt werden konnte.

Vergleich eines normalen Schädels mit einem künstlich verformten, verlängerten Schädel. Beide stammen aus der Moskauer Sammlung. (Quelle: Arnold et al; 2008)

Manipulation bereits im Säuglingsalter
Eine künstliche Schädelverformung ist eine extreme Umgestaltung, die nicht einfach zu bewerkstelligen ist. Sie muss bereits im Säuglingsalter vorgenommen werden, da hier die Schädelknochen noch plastisch und leicht verformbar sind. Dabei wird etwa drei Jahre lang mit Hilfe von Wickeln und Brettern Druck auf den Kopf ausgeübt und so der Schädel geformt. Je nachdem, wie dieser Druck angewendet wird, ergeben sich unterschiedliche Formen der Schädeldeformation. In der Regel werden diese in drei Kategorien eingeteilt: Abflachung, Abrundung oder Verlängerung. Die bekannteste Form ist wahrscheinlich die Streckung, bei der der Schädel durch den Verformungsprozess länger und höher wird.

Über die Gründe kann man nur mutmaßen
Es wird vermutet, dass es viele Gründe gab, warum Menschen auf der ganzen Welt diese extreme Praxis durchführten. Die Manipulation des Schädels könnte zum Beispiel eine rituelle Bedeutung gehabt haben oder aus religiösen Gründen durchgeführt worden sein. Es könnte auch eine Möglichkeit gewesen sein, den sozialen Status oder die Stammeszugehörigkeit auszudrücken, oder eine Methode, entweder schön oder angsteinflößend auszusehen.
Bei den oben bereits erwähnten Frauengräbern in Oberbayern, könnte die Erklärung auch ganz banal sein. Die aus dem südwestlichen Asien stammende Mode kam mit den hunnischen Feldzügen nach Zentraleuropa. Den Bestatteten waren Fibeln mitgegeben worden, die auf thüringische, langobardische und alemannische Einflüsse hindeuten. Ob sich die Toten als Thüringerinnen, Langobardinnen, Alemanninnen oder vielleicht sogar Hunninnen sahen, kann allein anhand der archäologischen Quellen nicht beantwortet werden. Die Übernahme der hunnischen Schädeldeformation scheint hier ein Ausdruck der Machtverhältnisse und der damit einhergehenden modischen Einflüsse zum Zeitpunkt der Geburt der Bestatteten zu sein. Mit dem Zerfall des hunnischen Reiches nach 553 n.Chr. klang diese Sitte auch wieder ab. In diesem Fall könnte es sich auch schlicht um einen mitgebrachten Modetrend gehandelt haben.

Obwohl die Praxis der künstlichen Verformung des Schädels weit in die Vergangenheit zurückreicht, zeigen mehrere Funde, dass sie auch in jüngerer Zeit fortbesteht. Es gibt sogar Belege für künstliche Schädelveränderungen aus dem 20. Jahrhundert, und es wird ebenso angenommen, dass diese Praxis noch heute praktiziert wird.

Die Archäologie zeigt uns, welche extremen Maßnahmen wir Menschen bereit waren zu ergreifen, um aufzufallen, dazuzugehören oder irgendwelchen Idealen zu entsprechen.


Literatur:
Arnold, W. H., Fedorischeva, V. A., Naumova, E. A., & Yabluchansky, N. I. (2008). Craniometric measurements of artificial cranial deformations in Eastern European skulls. Anthropologischer Anzeiger; Bericht uber die biologisch-anthropologische Literatur, 66(2), 139–146.
Dingwall EJ. (1931). Artificial Cranial Deformation: A Contribution to the Study of Ethnic Mutilation.
Logan, Michael. H., Sparks, C. S., & Jantz, R. L. (2003). Cranial Modification Among 19th Century Osages: Admixture and Loss of an Ethnic Marker. Plains Anthropologist, 48(187), 209–224.
Roberts, C., and Manchester, K. (2010) The Archaeology of Disease, Third edition, 2010.
Ni, X., Li, Q., Stidham, T.A. et al. (2020) Earliest-known intentionally deformed human cranium from Asia. Archaeol Anthropol Sci 12, 93
Losert, Hans (2003). Altenerding in Oberbayern - Struktur des frühmittelalterlichen Gräberfelds und "Ethnogenese" der Bajuwaren.