Bombentreffer in Nürnberg, Wöhrd – Wie selbst in einem Bombentrichter Archäologen noch fündig werden

Es ist Mittwoch, 11. August 1943, mitten in der Nacht. Am dunklen Himmel über Nürnberg wird das Dröhnen unzähliger Flugzeugmotoren immer lauter. Etwa viertel vor ein Uhr haben die 653 Bomber der britischen Royal Air Force ihr Ziel über Nürnberg erreicht. Kurz darauf regnen 1.756 Tonnen Spreng- und Brandbomben auf die fränkische Großstadt mit ihrer jahrhundertealten Geschichte nieder. Nürnbergs Norden, die südliche Altstadt, Wöhrd, St. Sebald und St. Lorenz werden dabei schwer getroffen. Allein in Wöhrd werden 382 Einwohner bei dem Angriff getötet, weite Teile der Ortschaft gehen in Flammen auf. Die Löscharbeiten dauern zwei Tage an.
Auch das Haus an der Schranke 25 brennt komplett aus, lediglich die Außenmauern bleiben stehen. Ein Teil der Unterkellerung wird durch einen Bombeneinschlag vollständig zerstört. Wie viele historische Gebäude ereilt auch Schranke 25 danach das gleiche Schicksal. Die Mauerreste werden abgerissen und sowohl Bombentrichter als auch Keller mit Bauschutt verfüllt. In diesem Fall wird das Gelände in eine Freifläche verwandelt und später auch als Parkplatz genutzt.

Wöhrd nach dem Luftangriff mit Blick von Osten. Roter Kreis: Lage der Ausgrabung. Bildquelle: Daniel Gürtler, Wöhrd - die untergegangene Vorstadt, Nürnberg, 2015. S. 36.

Bombentrichter war für die Archäologen wortwörtlich eine Fundgrube

2019, über 70 Jahre später, sollte eben an dieser Stelle ein Mehrparteienwohnhaus errichtet werden. Eine archäologische Untersuchung wurde notwendig. Auch wenn die oben geschilderten Ereignisse, die dieses Grundstück heimsuchten, nicht gerade für intakte archäologische Strukturen oder Funde sprechen, so ist das Grabungsteam von IN TERRA VERITAS dennoch (und auch gerade deshalb) fündig geworden.
Innerhalb der Kellerverfüllung stießen die Archäologen neben dem Bauschutt auch auf zahlreiche Gegenstände, die bis/um 1945 gängig in den umliegenden Haushalten anzutreffen waren. Unter anderem konnten Teile eines Service mit einem noch heute bekannten und beliebten Motiv geborgen werden. Es handelt sich dabei um einen Teller der Zeller Keramikfabrik aus Zell am Harmersbach (Baden-Württemberg) mit dem seit 1898 hergestellten Hahn-und-Henne-Motiv von Karl Schöner, welches er zum Anlass der Geburt seiner Tochter schuf. Da der Teller 1945 in die Verfüllung wanderte, kann seine Umlaufzeit zu dem Zeitpunkt folglich bei maximal 47 Jahren gelegen haben. Übrigens kann eine solche Beobachtung auch dabei helfen, Analogien zu älteren Objekten zu ziehen, deren Umlaufzeiten unbekannt sind.
Weiterhin wurde neben einer Flasche der Marke „4711 – echt kölnisch Wasser" auch ein Flacon „Uralt Lavendel" im Bombenschutt gefunden. Diese Flaschenform wurde erst ab den 1930er Jahren verwendet. Die Herstellerfirma Lohse bewarb ihr „Uralt Lavendel im praktischen Taschenflacon" 1939 mit den Worten: Was früher manchem noch Luxus schien, ist heute den meisten Bedürfnis: "Der Duft nach Sauberkeit und Frische", der das Zusammenleben selbst auf engem Raum mit einem Hauch von Welt und Wohlbefinden verschönt - das rechte Geschenk für Feiertage! Lohse Uralt Lavendel hat man als "Duft nach Sauberkeit und Frische" charakterisiert, weil es so köstlich erfrischt und wie kaum ein anderer Wohlgeruch das Gefühl von Sauberkeit und Gepflegtsein vermittelt. Für seine Echtheit und unveränderte Güte bürgt der Schriftzug "Lohse" auf der Siegelmarke.

Teile des Tellers der Zeller Keramikfabrik mit dem beliebten Hahn-und-Henne-Motiv
Links: Flacon der Marke 4711 – echt kölnisch Wasser. Rechts: Lohse Uraltlavendel in der ab den 1930er Jahren verwendeten Flaschenform
Geborgene Bombenhalterung amerikanischer Bauart von einem B-17, B-24 oder B-25 Bomber

Die Luftangriffe selbst hinterließen einen interessanten Fund

In der Verfüllung wurde auch ein Objekt aus Aluminium und Stahl gefunden, dessen Funktion für ein ungeschultes Auge zunächst völlig unklar scheint. Auf der etwa 50cm langen Vorrichtung ist noch die Gravur „TYPE-B-7 100-1100" zu entziffern. Es handelt sich dabei um eine Bombenhalterung aus amerikanischer Produktion. Diese waren horizontal über den Auslässen der Bomber angebracht. Die beiden Haken an den Enden hielten die Bomben (mit einem Gewicht von 100 bis 1100 Pfund) dabei in horizontaler Position und konnten elektrisch ausgelöst werden. Da diese Bauteile nur in amerikanischen Bombern der Typen B-17, B-24 und B-25 verbaut wurden und zur Wiederverwendung im Flugzeug verblieben, können daraus mindestens zwei Schlüsse gezogen werden:

  1. Der am Anfang beschriebene Luftangriff im August 1943 wurde ausschließlich durch britische Bomber der Typen Lancaster, Stirling und Halifax durchgeführt. Flugzeuge der United States Army Air Forces kamen erst später zum Einsatz, weshalb dieser Fund auch erst danach nach Nürnberg gekommen sein konnte. Vermutlich bei einem der Angriffe am 25. Februar 1944, 10. April 1944, 20. Februar 1945, 5. April 1945 oder 8. April 1945, bei denen entsprechende US-Bomber eingesetzt wurden.
  2. Da das Bauteil nicht mit abgeworfen wurde, sondern fest im Bombenschacht montiert war, muss es durch einen Abschuss durch deutsche Flak oder Jäger, zumindest jedoch aufgrund von Beschädigung durch Beschuss vom Flugzeug abgetrennt worden sein.

Neben diesem Bauteil kamen aber auch andere amerikanische Produkte in der Verfüllung zum Vorschein. So zum Beispiel ein Glas SPAM der Firma Hormel Foods (Austin, Minnesota). Dabei handelt es sich um gewürztes Frühstücksfleisch, welches 1937 auf den Markt gebracht wurde und noch heute international unter dem gleichen Namen vertrieben wird. Das hier gefundene Glas kann entweder durch Carepakete oder auch durch US-Soldaten selbst nach Nürnberg gelangt sein.

Insgesamt zeigt dieses Beispiel gut, dass selbst in zunächst chaotischen Bombentrichterverfüllungen Archäologen noch immer Funde bergen und interessante, wie auch wertvolle Erkenntnisse daraus ableiten können.