Teilweise werden noch heute der Nachgeburt eine besondere Bedeutung oder Fähigkeiten zugeschrieben und entsprechend behandelt. Die Frauenzeitschrift Brigitte hat tolle Ideen, was man mit der Plazenta alles machen kann, sie warnt aber auf der anderen Seite auch davor sie zu essen. (Übrigens rät das American Journal of Obstetrics and Gynecology auf Basis der Ergebnisse einer Studie sehr davon ab die Plazenta zu verzehren) Ursprung haben solche Rituale im alten Volksglauben, der auf einer archaisch-magischen Glaubenswelt beruht.
Im mittelalterlichen Volksglauben gab es konkrete Vorstellungen, inwieweit eine Sonderbehandlung der Nachgeburt nötig ist. Der Theologe Johann Geiler von Kaysersberg (1445-1510) schreibt in seinem Evangelibuch, dass ein jeder bei der Geburt mit einem „seidin dammastin wammest" geboren wird, welches zum Schutz und Gedeihen des Kindes nach dessen Geburt besonders zu behandeln ist („aber dasselbig vergräbt man in den Stall").

Der mittelalterliche Aberglaube
Auch das frühe Mittelalter kannte bereits rituelle Handlungen in Bezug auf die Plazenta. Bis heute erhalten ist das Ritual des Vergrabens. So wird die Nachgeburt zum Beispiel unter einem Obstbaum deponiert, womit die Lebenskraft des Baumes mit dem des Kindes verbunden werden soll. Im christianisierten Europa treten zahlreiche weitere Glaubensvorstellungen auf, um nur einige zu nennen:

  • Die Plazenta muss nach der Geburt sofort weggeschafft werden, ohne dass die Mutter sie gesehen hat, da sie sonst sterben könnte
  • Die Nachgeburt muss so entsorgt werden, dass keine Tiere sie fressen können, da das Kind sonst Bettnässer wird.
  • Krankheiten und schlechte Haut des Kindes kommen davon, dass die Plazenta an einem Ort vergraben wurde, an dem Sonne und Mond hin scheinen können.

Auch tierische Nachgeburten spielten in der Glaubenswelt eine Rolle. So wurden diese zum Beispiel im Stall oder an einem Zweig aufgehängt, um Mensch und Tier vor Unglück zu schützen.

Archäologische Erkenntnisse
Archäologisch lassen sich am häufigsten Nachgeburtsbestattungen fassen. Diese finden sich im Bereich mittelalterlicher Siedlungen immer wieder. Eine erste umfängliche wissenschaftliche Auswertung des Phänomens erfolgte erst 1997, obwohl die Sitte der Nachgeburtsbestattung noch bis in das frühe 20. Jahrhundert hinein verbreitet war und bis heute bekannt ist.
Vor allem in Kellerräumen mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Anwesen finden sich – meist entlang der Kellermauern und besonders der Kellerecken – Keramikgefäße, die in kleinen Gruben deponiert wurden. In vielen Fällen sind sie kopfüber, also mit der Öffnung nach unten und mit einem Deckel verschlossen. Bei Gefäßen, die auf diese Weise deponiert wurden ist in den meisten Fällen eine Nachgeburtsbestattung anzunehmen. Stehen die Behälter an solchen Fundorten stattdessen normal auf ihrem Boden, könnte es sich auch um Mausefallen handeln. Hier kann erst eine biochemische Untersuchung Klarheit über die Verwendung als Bestattungsgefäß geben, zum Beispiel durch den Nachweis von Cholesterin, Östradiol und dem negativen Nachweis von Östron.
Neben der volkskundlichen Bedeutung sind solche Befunde auch eine gute Möglichkeit, die Entwicklung der Gefäßkeramik in einem Ort über lange Zeit nachverfolgen zu können. Ein gutes Beispiel hierfür ist Kirchheim unter Teck im Landkreis Esslingen, wo entlang von Kellermauern eines einzelnen Anwesens 23 Nachgeburtsbestattungen auftauchten. Teilweise konnten diese anhand der Besitzergeschichte des Anwesens einzelnen Personen zugeordnet werden.

Einer der dort gefundenen Töpfe war mit der Öffnung nach unten vergraben worden. Die Mündung war wohl mit einem nicht mehr erhaltenen hölzernen Deckel verschlossen. Auf der Bodenaußenseite war mit weißer Engobe ein Pentagramm gemalt worden, was vermutlich als magisches Schutzsymbol für das Wohl des Kindes und seiner Mutter zu verstehen ist. Aufgemalte Penta- und Hexagramme finden sich vereinzelt bei frühneuzeitlichen und neuzeitlichen Gefäßen und sind ein guter Indikator dafür, dass es sich um die Bestattung von Plazenten handelt.
Ein als Gefäß für die Nachbestattung verwendeter Henkeltopf mit einem auf den Boden aufgemalten Pentagramm (Quelle: Kirchheim u. Teck, in Ade-Rademacher, Abb. 21,1)
In Rothenburg ob der Tauber (Landkreis Ansbach) fanden sich auf einem Anwesen zwei Gefäße, die als Nachgeburtsbestattungsgefäße identifiziert werden konnten. Diese waren allerdings nicht im Keller des Hauses vergraben worden, sondern in einer Ecke des mit Mauern umgebenen Hinterhofs. Die Ecke war so gelegen, dass weder tagsüber noch nachts direktes Licht einfallen konnte. Die Regel "…zu bestatten wo weder Sonne und Mond hin scheinen können" wurde hier also befolgt.
Eines der im Hinterhof deponierten Gefäße aus Rothenburg o.d.T. (Quelle: Dallmann, Taf. 26)]

Literatur:
D. Ade-Rademacher, "Wo weder Sonne noch Mond hinscheint" - Archäologische Nachweise von Nachgeburtsbestattungen in der frühen Neuzeit, Stuttgart 1997
W. Dallmann, Einblicke in die Sachkultur Rothenburgs o.d.T. seit dem späten Mittelalter - Ergebnisse der archäologischen Ausgrabung in der Judengasse 14, unpublizierte Magisterarbeit an der Uni Bamberg, 2017
Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, Bd. 6, Stichwort: Nachgeburt, S.760-766