Viele Filme, die im Mittelalter spielen, zeigen karge Stadthäuser und Bauernhöfe. Die Kulissen vermitteln den Eindruck von grob zurechtgezimmerten Hütten mit krummen Balken oder einfach nur zusammengebundenen Ästen. Neben diesen konstruktiven Fehldarstellungen sind in den Medien – teilweise leider auch in Dokumentationen – selbst Häuser der gehobenen Schicht und Burgen kahl, grau und ohne jeden Zierrat zu sehen. Diese kleine Beitragsreihe möchte etwas Aufklärung schaffen, denn so war es nicht.

Jeder der sich mit historischer Baukunst beschäftigt weiß, dass mittelalterliche Häuser Ergebnisse hochentwickelter Zimmermannstechnik waren. Grobe und kahle Lehmhütten gehören keinesfalls ins Mittelalter – und übrigens auch in keine andere Zeit. Und auch Verzierungen, Farben und Schmuck gehörten zu mittelalterlichen Häusern, womit sich dieser erste Teil der Beitragsreihe auseinandersetzt.
Natürlich gab es Unterschiede, denn das Aussehen eines Gebäudes sagte vieles über seine Bewohner aus. Rissige oder ausgewaschene Fachwerkwände, löchrige Dächer und schadhafte Türen zeigten wohl, dass die Bewohner Probleme hatten, ihr Haus in Stand zu halten. Andererseits deuteten aufwendig verzierte und gepflegte Fassaden auf den Reichtum und den Status ihrer Eigentümer hin.

Zahlreiche Möglichkeiten der Verzierung
Neben dem flächigen Verputzen von Hauswänden, was zusätzlichen Schutz für das darunter liegende Mauerwerk bietet, finden sich zahlreiche weitere Möglichkeiten die Fassade zu verzieren. Mit dem Einritzen von Mauerfugen, wo evtl. gar kein Mauerwerk darunter liegt (Kratzputze) oder dem Auftragen von unterschiedlich farbigen Putzen mit anschließendem ornamentalem Abkratzen der oben liegenden Schicht (Sgraffito) konnten erstaunliche Ergebnisse erzielt werden. Auch das flächige Bemalen von Gebäuden findet sich vor allem im kirchlichen, aber auch im gehobenen bürgerlichen Milieu und beim Adel.
Doch nicht nur die Häuser des Adels, reicher Kaufleute oder städtische Gebäude – wie der Stadtturm in Ravensburg – wurden verziert. Auch Handwerker und weniger wohlsituierte Bewohner der Stadt wollten ihre Häuser verschönern und damit ihren Status anzeigen. Die meisten heute noch erhaltenen Beispiele stammen aus dem späten Mittelalter und der frühen Neuzeit. Es ist allerdings davon auszugehen, dass diese nachgewiesene Farbigkeit der Häuser auf Vorläufern aufbaut, die sich im Detail leider nicht mehr nachvollziehen lassen.

Der Bunte Turm in Ravensburg mit restaurierter vollflächiger Wandbemalung des 15. Jahrhunderts (Cramer, Abb. 8)
Heutiges Aussehen des Bauernhauses aus Ochsenfeld. Die linke Hälfte zeigt das rekonstruierte Aussehen des 15. Jahrhunderts, die rechte Hälfte den Zustand beim Abbau 1985. Rechts oben: Detail der Farbfassung
Bei einem einfachen Bauernhaus aus Ochsenfeld, Landkreis Eichstätt, errichtet im Jahr 1454/55 (dendrodatiert) fand sich auf den Balken eine rote Farbfassung mit perlweiß gefassten Gefachen. An den Gefachrändern wurde ein dünner schwarzer Begleitstrich gemalt und an den Kreuzungspunkten finden sich kleine, an Blumen erinnernde Kreise. Das Gebäude kann heute im Fränkischen Freilandmuseum Bad Windsheim bewundert werden.
Ähnliche Verzierungen wie in Ochsenfurt finden sich auch noch an zahlreichen Beispielen in Franken aus dem 16. Jahrhundert. In Karlstadt sind unterschiedlichste Farbfassungen auf dem Fachwerk nachweisbar. Von verschiedenen Rottönen über grau und gelb bis zu grün. In anderen Städten kommen hier noch Grautöne hinzu. Auch in Karlstadt treten Begleitstriche auf. Im 16. Jahrhundert werden zusätzlich noch 3D-Effekte einbezogen (Trompe l'oeil-Technik).
Beispiele für Farbfassungen an frühneuzeitlichen Fachwerkhäusern in Karlstadt (Hartmann, S. 167)

Flächige Farbfassungen
Im späten Mittelalter finden sich neben den detailverliebten Begleitstrichen und farbig gefassten Balken auch flächige Farbfassungen, wie man immer wieder auf Gemälden spätmittelalterlicher und frühneuzeitlicher Künstler erkennen kann. Michael Wolgemut, Albrecht Dürers Lehrer, malte Ende des 15. Jahrhunderts mehrere Altarbilder mit Stadtansichten oder Straßenzügen seiner Heimatstadt Nürnberg im Hintergrund. Ein Altarbild in Straubing eröffnet den Blick auf die Nürnberger Burgstraße von Süden nach Norden. Unter anderem sind dunkelgraue, grüne, gelbe und braune vollflächige Farbfassungen an den Häusern zu sehen. Teilweise wechselt die Wandfarbe von Stockwerk zu Stockwerk. Auch eine farbliche Fassung der Fachwerkaufbauten mit weißen Gefachen und bunten Balken mit flächigen Farbfassungen in den Geschossen darunter sind sichtbar.

Die Nürnberger Burgstraße um 1489 mit Blick nach Norden. (Tacke, Timann, Abb. 6, S. 33)
Albrecht Dürer malte zwischen 1490 und 1493 das Gemälde "Wunderbare Errettung eines ertrunkenen Knaben aus Bregenz". Im Hintergrund ist ein Torgebäude zu sehen, dessen Tor- und Fensterlaibungen – evtl. auch die Eckquader – Rot gefasst sind. Darüber findet sich eine mit dreieckigen Spitzen gearbeitete Verbretterung. Das Fachwerkobergeschoss ist mit braunen Balken und gelb gefassten Gefachen dargestellt. Ein Erker zeigt weiß gefasste Balken mit grauen Gefachen.
Linker Bildhintergrund von Dürers Gemälde "Wunderbare Errettung eines ertrunkenen Knaben aus Bregenz" (Bertram, Bd. 28)
Die künstlerischen Darstellungen und archäologisch belegten Farbfassungen zeigen deutlich, dass die mittelalterlichen Städte bunt waren und aus qualitativ hochwertigen und handwerklich geschickt konstruierten Gebäuden bestanden. Ganz anders als das in den Medien oft vermittelte Bild des grauen und kargen Mittelalters. Und darüber hinaus auch deutlich bunter und in vielen Details verzierter als viele heutige Neubauten.

Literatur:
J. Cramer, Befunde zur Außenfarbigkeit von Burgen, in: H. Hofrichter (Hrsg.), Putz und Farbigkeit an mittelalterlichen Bauten, Veröffentlichungen der Deutschen Burgenvereinigung e.V. Reihe B: Schriften, Bd. 1, Stuttgart 1993, S.30-35.
Edgar Hartmann, Fachwerkfassungen des 16.Jahrhunderts am Beispiel der unterfränkischen Stadt Karlstadt am Main, in: H. May (Hrsg.) Farbe und Dekor am historischen Haus, Bad Windsheim 2010. S.165-170.
Wolgemut: A. Tacke, U. Timann, Expansion ohne Regeln?Die Wolgemut-Werkstatt im Lichte der fränkischen Maler(zunft)ordnungen, Michael Wolgemut. Mehr als Dürer-Lehrer, Abb.6, S.33, vgl ebd. S.226. In: Bierer 2019
K. Bedal, H. Heidrich, Bauernhäuser aus dem Mittelalter. Ein Handbuch zur Baugruppe Mittelalter im Fränkischen Freilandmuseum in Bad Windsheim, in: K. Bedal (Hrsg.), Schriften und Kataloge des fränkischen Freilandmuseums, Band 28., S.253 bzw. S.259.
M. Bertram, F. Anzelewsky, Albrecht Dürer: das Gesamtwerk, in: Digitale Bibliothek, Bd. 28, Berlin 2000.