Teuschnitz, eine Stadt in Oberfranken im 17. Jahrhundert. Der 30jährige Krieg ist gerade erst vorbei und die schrecklichen Erinnerungen an die plündernden und Brände legenden Armeen, die die kleine Stadt heimsuchten, stecken noch allgegenwärtig in den Knochen der Bewohner. Der Krieg hat viele Wunden hinterlassen und noch immer kämpfen sie in diesen schweren Zeiten mit Hunger und Armut. Dennoch blicken die Teuschnitzer optimistisch in die Zukunft. Endlich herrscht nach langer Zeit wieder Frieden und die meisten sind mit dem Wiederaufbau des zerstörten Ortes beschäftigt. Doch eine Familie muss einen neuen schweren Schicksalsschlag erleben. Ihr kleines Kind bekam in dieser Hungersnot nicht genug zu essen. Trotz aller Bemühungen der Eltern war der kleine Körper einfach zu schwach, um die Strapazen zu überstehen. Es war nicht einmal vier Jahre alt geworden, als es die Eltern nun auf dem Friedhof der Pfarrkirche Mariä Himmelfahrt zu Grabe tragen. Sie legen noch einen Rosenkranz und eine mit Glasperlen geschmückte Totenkrone bei, bevor der Sarg verschlossen wird und sie ihr geliebtes Kind der Ewigkeit übergeben.

Umso wichtiger ist es jetzt, die Knochen und Grabbeigaben vorsichtig und professionell zu bergen und zu analysieren. So kann die Geschichte des Kindes nach vielen Jahrhunderten wieder bekannt werden.

Etwa 370 Jahre später. Das Umfeld der Pfarrkirche von Teuschnitz soll erneuert werden. Ein Team von Archäologen der Bamberger Grabungsfirma IN TERRA VERITAS begleitet fachkundig die Entfernung des modernen Pflasters und die darunter liegenden Schichten, bis sie auf die Überreste des alten Friedhofs stoßen. Die Anthropologin Beatrice Krooks erkennt sofort die Überbleibsel des Kindergrabes und übernimmt die behutsame Öffnung und Bergung. So war es ihr möglich, nach Jahrhunderten die tragische Geschichte des kleinen Kindes zu rekonstruieren, obwohl die Bedingungen gar nicht ideal waren. „Ganz offensichtlich wurde die Totenruhe des Kleinen schon einmal gestört", stellt Krooks fest, „und das ziemlich unsanft." Vor einigen Jahren wurde dieser Bereich des Friedhofs gepflastert, um einen ordentlichen Zugang zur Aussegnungshalle anzulegen. Bei den damaligen Bauarbeiten mussten die Zähne einer Baggerschaufel das Grab durchfurcht haben und dabei die Gebeine des Kindes, sowie die Totenkrone und den Rosenkranz zerrissen haben. „Umso wichtiger ist es jetzt, die Knochen und Grabbeigaben vorsichtig und professionell zu bergen und zu analysieren," betont die Anthropologin, „so kann die Geschichte des Kindes nach vielen Jahrhunderten wieder bekannt werden."

Überreste der Gebeine des etwa 4-jährigen Kindes und der Totenkrone
Archäologische Detektivarbeit – Die Rekonstruktion einer Schicksalsgeschichte

Bei der Freilegung der Bestattung stellten die Archäologen fest, dass das Kind in Rückenlage mit über dem Bauch gekreuzten Händen beerdigt wurde. In den Händen hatte es einen Rosenkranz aus schwarzen opaken Glasperlen und Knochenperlen gehalten, die auf einen dünnen Draht gezogen waren. Auf dem Kopf fanden sich die Reste einer Totenkrone, die durch Baggerarbeiten schwer beschädigt wurde. Die Beigabe eines solchen Kopfschmucks findet sich ab dem 17. Jahrhundert bis etwa in das letzte Drittel des 19. Jahrhunderts. Die aus Bronze- oder Silberdraht hergestellten Kronen oder Kränze wurden unverheiratet verstorbenen Menschen beider Geschlechter aufgesetzt und konnten aufwendig verziert sein. Im Fall des hier gefundenen Exemplars waren in der Krone facettiert geschliffene Glasperlen eingearbeitet. Anhand der aus der Grabgrube stammenden Keramikscherben kann die Bestattung in die Mitte bis zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts datiert werden. Nachdem das Grab im Feld präpariert wurde, erfolgte die vollständige Dokumentation mittels Fotografie, Zeichnung und tachymetrischer Einmessung. Anschließend wurde das Skelett entnommen und im Labor der Grabungsfirma IN TERRA VERITAS in Bamberg gereinigt. Danach erfolgte die anthropologische Analyse, bei der festgestellt wurde, dass es sich um ein maximal vier Jahre altes Kind handelte, welches noch Milchzähne aufwies. Die dauerhaften Zähne waren jedoch schon größtenteils angelegt. An diesen zeigte sich, dass das Kind zu Lebzeiten einer längeren Hungerperiode ausgesetzt war, was offenbar zu einer allgemein schlechten körperlichen Entwicklung und eventuell auch zum Tod geführt hatte. 

Weitere Erkenntnisse der Ausgrabung

Bei den archäologischen Arbeiten stießen die Wissenschaftler auf die etwa 1,2 Meter breiten Reste einer Sandsteinmauer, die sie zunächst irrtümlich für einen Teil der Stadtbefestigung hielten. Nach einem Hinweis aus der Teuschnitzer Bevölkerung wurde die Lage nochmals geprüft, wobei sich herausstellte, dass es sich um einen Teil der ehemaligen Friedhofsmauer handelte. Sie ist in mehreren Teilen vollständig durch moderne Leitungsgräben gestört. Aus denkmalrechtlichen Gründen wurde sie nur an der Oberfläche, nicht in der Seitenansicht untersucht, da die Erhaltung der Mauer im Boden gesichert bleiben soll. Insgesamt waren weite Teile der Ausgrabungsfläche auch wegen früherer Baumaßnahmen bereits stark geschädigt. Auch wegen der langen Nutzungszeit des Friedhofs hatten sich kaum mehr einzeln abgrenzbare Grabgruben erhalten. Die Erde war über die Jahrhunderte so oft für Gräber geöffnet und wieder verfüllt worden, dass man nur noch auf eine gleichmäßige Schicht gestoßen war. Diese war zwar mit zahlreichen Fragmenten von menschlichen Knochen durchsetzt, die aber keinen konkreten Bestattungen mehr zuzuordnen waren. Nur in kleinen Teilen der Fläche fanden sich noch drei teilweise intakte Grabgruben. Die eines Säuglings, der in Embryonalstellung bestattet wurde, eines 2-5 Jahre alten Kindes, welches offenbar an einer Gewebeerkrankung im Kopf verstorben war (so zeigen es die pathologischen Veränderungen an der Schädelinnenseite) und die des etwa vierjährigen Kindes, dessen Geschichte in Teilen nun wieder zum Leben erweckt werden konnte. 


Ausgrabungsfläche an der Pfarrkirche Mariä Himmelfahrt in Teuschnitz mit Resten der ehemaligen Friedhofsmauer
Archäologische Ausgrabung an der Pfarrkirche Mariä Himmelfahrt in Teuschnitz, Landkreis Kronach, Oberfranken