»Leuchtende Kinderaugen, unbeschwertes Lachen und grenzenlose Fantasie. So springt ein kleines Mädchen mit ihrer Lieblingspuppe durchs Haus und erlebt zahlreiche Abenteuer und bunte Geschichten. Diese Puppe ist für das Kind nicht nur Spielzeug, sondern auch Spielgefährtin und vielleicht sogar symbolisches Vorbild. Denn die in Massen produzierte Puppe trägt aufwendigen Schmuck, neueste Mode und das Beste vom Besten.« Sicherlich eine vertraute Schilderung aus unserer Gegenwart, doch sie beschreibt eine mögliche Geschichte vor 600 Jahren!
Es gibt immer mal wieder archäologische Funde, die kleine, aber interessante Details in der Geschichte zum Vorschein bringen. Und manchmal wird dadurch selbst Experten erst bewusst, wie die Unterschiede im Alltagsleben von damals und heute im Kern manchmal gar nicht so verschieden waren. Ein schönes Beispiel soll hier der Fund einer „Kruselerpuppe" sein.

Derzeit werden in Wirsberg (Landkreis Kulmbach) die Hangstützmauern der Pfarrkirche St. Johannis der Täufer saniert und direkt daneben der Neubau eines Bürgerzentrums vorbereitet. Beides wird von Archäologen der Grabungsfirma IN TERRA VERITAS fachkundig begleitet.

In einer Grube neben der Kirche bergen die Wissenschaftler den noch gut erhaltenen Rest einer sogenannten Kruselerpuppe. Diese waren ab dem späten Mittelalter allseits besonders beliebt und wurden auch in Masse produziert, wobei ein Zentrum der Herstellung die Stadt Nürnberg war. Die Kruselerpuppen sind nachweislich das erste in Serie gefertigte Spielzeug des Mittelalters.

Die vollständig aus Ton gefertigten Puppen hatten die Form einer Frau, die aufwendig modellierte und modische Kleidung trug. Den Kopf zierte eine sogenannten Kruselerhaube. Damit war die Puppe nicht nur, ähnlich wie auch heutzutage, nach der neuesten Mode gekleidet und trug nur das Beste vom Besten, sondern stellte damit auch eine Dame der gehobenen Gesellschaft dar. Besonders deutlich wird dies im Vergleich mit Bildnissen entsprechender Frauen aus der gleichen Zeit, wie ein Wandteppich um 1400 zeigt.

Fragment der Kruselerpuppe, die aus einer Abfallgrube in Wirsberg geborgen wurde
Die Wirsberger Kruselerpuppe war sicherlich ein heißgeliebtes Spielzeug und vielleicht ist auch die ein oder andere Träne geflossen, als irgendwann der Kopf vom Unterkörper abbrach und sie um das Jahr 1400 in einer Grube neben der Kirche entsorgt wurde. Erst heute kam sie durch Archäologen wieder ans Tageslicht und konnte so ihre eigene Geschichte erzählen. Und wer weiß schon, welche Abenteuer und Geschichten sie in der Fantasie der Kinder vor 600 Jahren so alles erlebt hat.
Vollständige Kruselerpuppe aus Nürnberg um 1400. Quelle: Germanisches Nationalmuseum Nürnberg
Junge Dame mit Kruselerhaube auf einem Wandteppich der Zeit um 1400, Allegorie auf die Minne. Quelle: Germanisches Nationalmuseum Nürnberg