Nürnberger Schellen für die Neue Welt

„Nürnberger Tand reist durch alle Land..." Dieses in ähnlicher Form seit dem 15. Jahrhundert bekannte Sprichwort kennen viele. Und tatsächlich war Nürnberg als Herstellungs- und Marktort für alle möglichen Waren eines der wichtigsten Zentren Europas im Mittelalter und der frühen Neuzeit.

So war zum Beispiel ein gewisser Ulrich Schmidel aus Straubing zwischen 1534 und 1554 im Dienst der Konquistadoren in Südamerika unterwegs und half die spanischen Interessen durchzusetzen. Dabei kam er am Fluss Paraguay mit den dort lebenden indigenen Einwohnern in Kontakt. Der geschäftstüchtige Schmidel tauschte „Messer, Paternoster, Scher und andere gatung mehr die man zu Nürnberg macht" gegen Gold.

Oder auch in Gräbern hochgestellter Personen der kubanischen Gesellschaft auf dem Friedhof von El Chorro de Maíta, der vom 11. bis ins 16. Jahrhundert genutzt wurde, wurden zylindrische Röhrchen aus Messingblech deponiert. Sie stammen von Nestelspitzen aus Europa und wurden mit hoher Wahrschenlichkeit in Nürnberg gefertigt.

Ulrich Schmidel, der Konquistador aus Straubing (Quelle: Schmidel 1602, S12 (https://api.digitale-sammlungen.de/iiif/image/v2/bsb10861749_00013/full/full/0/default.jpg)

Nürnberger Schellen in der Neuen Welt
Nürnberger Handwerker produzierten Waren von hervorragender Qualität und die Kaufleute der Stadt handelten nicht nur mit den Nachbarregionen, sondern auch mit dem fernen Ausland. Über die Niederlande wurden damals schon Waren in die – zu dieser Zeit noch brandneuen – „Neuen Welt" verschifft. Eines der Nürnberger Produkte erfreute sich weltweit großer Beliebtheit: die Schellen. In Nordamerika wurden Exemplare dieser kleinen Glöckchen aus dem 18. Jahrhundert gefunden. Aufgrund der Herstellermarke konnten sie als Produkte der Werkstätten von Jakob Christoph Zimmermann (+1679), Wolfgang Zimmermann (+1728) und Johann Wilhelm Taucher (+1814) aus Nürnberg identifiziert werden.

Die Nürnberger Schellen in Übersee lassen sich in zwei Typen unterscheiden, die auf unterschiedliche Arten produziert wurden. Die älteren Schellen vom Typ 1 tauchen im Süden der heutigen USA, vor allem im Mississippi-Delta ab dem 16. Jahrhundert auf und wurden aus zwei getriebenen Messingblechhälften hergestellt. Schellen vom Typ 2 bestehen aus zwei gegossenen Hälften und finden sich ab dem 17. Jahrhundert. Ihre Wandung ist deutlich stärker und die Außenseiten weisen meist starke Abdrehspuren und Facettierungen durch das Abfeilen auf. Durch die stärkere Wandung und den kleineren Durchmesser hatten sie einen höheren Klang als Schellen von Typ 1. Mark Howell folgert anhand der Analyse der Schellenfunde aus dem Mississippi-Delta, dass die Produktionsänderung auf die Vorliebe der Käufer für höhere Töne zurückzuführen sei.
Schellentypen (Quelle: Cassitti 2021, Taf45, 1.)
Die Nürnberger Schellen verbreiteten sich über die großen Handelsorte im Süden der USA bis weit ins Hinterland, wo sie als Tauschmittel, Schmuck und Musikinstrumente bis in das 19. Jahrhundert verwendet wurden.

Quellen/Literatur:
Schmidel 1602, S.55 -> U. Schmidel, Vierte Schiffart. Warhaftige Historien. Einer Wunderbaren Schiffart, welche Ulrich Schmidel von Straubing, von Anno 1534 biß Anno 1554, in Americam oder Neuwewelt, bay Brasilia vnd Rio della Plata gethan, Nürnberg 1602.
I. W Brown, Bells. In: J. P Brain, Tunica Treasure. Papers of the Peabody Museum of Archaeology and Ethnology Harvard University 71 (Cambridge Mass. 1979). 197-205.
Patrick Cassitti, Nürnberger Waren - Herstellung, Handel und Konsum europäischer Buntmetallprodukte in Mittelalter und früher Neuzeit, in: Zeitschrift für Archäologie des Mittelalters, Beiheft 27, Bonn 2021.
Mark Howell, The Impact of Sound on Colonization: Spanish, French and British Encounters with Native American Cultures, from Colonial Guatemala to Virginia, in: R.Eichmann, M. Howell, G. Lawson: Music and Politics in the Ancient World, Berlin Studies of the Ancient World Bd. 65.

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