Archäologinnen und Archäologen stoßen bei ihren Grabungsarbeiten immer wieder auf eigenartige Befunde mit markanter Form. Von Menschen gemachte lange, schmale und sehr tiefe Schlitze in der Erde, deren tatsächliche Funktion bis heute nicht eindeutig geklärt ist. Zusammenfassend werden diese Befunde als „Schlitzgruben" bezeichnet.
Bei archäologischen Ausgrabungen tauchen heute immer wieder Phänomene auf, die die Wissenschaft vor ein Rätsel stellen. Dabei handelt es sich nicht unbedingt um einzelne spektakuläre Funde, sondern oft um weit verbreitete, in der Grabungsarchäologie alltägliche Dinge und Gegenstände. Beispiele dafür sind die rätselhaften Tonwannen oder Ringgriffhaken, die hier auch schon vorgestellt wurden. In diesem Artikel soll es nun um die sogenannten Schlitzgruben gehen, die seit der Linearbandkeramik (etwa 6. Jahrtausend v.Chr.) auftauchen.

Das Phänomen Schlitzgruben
Die Erdschlitze sind bis zu drei Meter lang, gleichzeitig meist sehr schmal – manchmal sogar nur 25 cm – und reichen mit fast senkrechten Wänden bis in eine ursprüngliche Tiefe von drei Metern. Die Grubensohle ist in der Regel waagerecht und im unteren Bereich so schmal, dass darin nur noch parallel und nicht mehr quer zur Längsachse gearbeitet werden konnte. Ebenso fehlen an den Wänden Trittstufen oder ähnliches, weshalb man für das Verlassen der Schlitzgruben eindeutig Hilfe benötigte. Die Gräben finden sich meist an Siedlungsrändern, teilweise aber auch mittendrin. Ihre Datierung ist oft unsicher, da sie eines gemeinsam haben: Sie sind annähernd fundleer.

Vereinfachte Zeichnung einer Schlitzgrube nach einem Befund von einer vorgeschichtlichen Ausgrabung in Ansbach, Mittelfranken.

Zahlreiche Hypothesen
Die Erforschung der Schlitzgruben reicht weit zurück und so entstanden viele Hypothesen, welchem Zweck sie denn dienen. So könnte es sich um Aufbewahrungsgruben handeln. Dagegen spricht aber, dass in keinem Fall entsprechende Funde zum Vorschein kamen, wie man es aus anderen Vorratsgruben kennt.
Auch wurde darüber nachgedacht, ob in den Gruben Schutzwände oder andere Bauten gestanden haben könnten. Es gibt jedoch erst ein Beispiel, das auf angebliche Pfosteneinbauten hinweist, wenn auch die entsprechenden Verfärbungen dabei fehlen.
Bei einer anderen Überlegung geht man von der Nutzung als Gerbergruben aus, was ihre teilweise Lage an den Siedlungsrändern aufgrund der strengen Geruchsentwicklung erklären könnte. Es sind jedoch erst wenige Schlitzgruben auf ihren Phosphatgehalt untersucht worden und in keinem Fall war eine erhöhte Konzentration zu beobachten, wie es bei einer Gerbergrube zu erwarten wäre.
Auf einer Urne aus einem ungarischen Gräberfeld aus der Hallstattzeit ist ein Webstuhl abgebildet, dessen Kettfäden in eine Grube hinabführen. Das Bild könnte ein Hinweis sein, doch eine Bestätigung dieser These fehlt. Bei einigen Webstühlen wäre mit Sicherheit der ein oder andere Kettfaden gerissen oder ein Webgewicht aus seiner Halterung gebrochen. In keiner Schlitzgrube stieß man bisher auf solche Funde.Bei einem ganz anderen Gedanken könnten diese Erdschlitze auch Opfergruben gewesen sein. In einigen wenigen fanden die Ausgräber Rindergehörne, Rehknochen oder die Überreste von Rothirschkälbern.

Fallgruben zum Tierfang
Nach einer verbreiteten Theorie kann es sich bei den Schlitzgruben auch um Tierfangsysteme handeln. Denn einige Befunde weisen bei guter Erhaltung eine flache muldenförmige Arbeitsgrube an der Oberseite auf. Die Annahme ist, dass diese möglicherweise mit darübergelegten Ästen, Zweigen und Blattwerk getarnt wurde. Sobald die Tiere darauf traten, brachen sie durch die lockere Deckschicht und rutschten mit dem Vorder- bzw. Hinterlauf in die schmalen und sich oft nach unten verjüngenden Schlitzen hinab. Dies nahm den Tieren jegliche Bewegungsfreiheit, die sie zum Aufrichten benötigt hätten.
In vielen Kulturkreisen entstanden weltweit Anlagen zum Fangen von Tieren, die vergleichbar zu den hier behandelten Schlitzgrubensystemen sind. Fallgrubenjagd ist vom Paläolithikum bis in die Neuzeit bekannt. Zu Beginn wurden häufig natürliche Bodensenken und Verwerfungen sowie bei der Großwildjagd (z. B. auf Mammuts oder Elefanten) auch Gelände mit morastigem Untergrund, Sümpfe oder Seeufer genutzt. Für das Mesolithikum sind vor allem im skandinavischen Raum ausgedehnte Fallgrubensysteme belegt, charakteristisch für steinzeitliche Elchjäger. Fallgrubenjagd ist aber keine auf Europa beschränkte Erscheinung, sondern findet sich auf allen Kontinenten. So sind zum Beispiel von den Kavangos im Nordosten Namibias ebenfalls bis zu drei Meter tiefe Gruben zur Antilopenjagd bekannt, die mit unseren Schlitzgruben vergleichbar sind.

Die auf den ersten Blick sehr naheliegende Theorie der Tierfallen hat jedoch ein Problem, weshalb sie auch lange von der Forschung abgelehnt wurde. Die Schlitzgruben befinden sich teilweise inmitten von Siedlungsplätzen und scheinen in einigen Fällen sogar direkt zu einem Gebäude zu gehören. Eine überzeugende Erklärung fehlt in diesen Fällen. Vermutlich hatten die Schlitzgruben auch nicht zu jeder Zeit und in jeder Region immer die gleiche Funktion. Der tatsächliche Zweck bleibt daher für viele Befunde weiterhin offen.

Literatur:
FRIEDERICH, Susanne. Schlitzgruben: ein Tierfallensystem In:: Chasse, culte ou artisanat ? Les fosses « à profil en Y-V-W »: Structures énigmatiques et récurrentes du Néolithique aux âges des Métaux en France et alentour [Online]. Dijon: ARTEHIS Éditions, 2013 (Erstellungsdatum: 08 novembre 2021). Online verfügbar: <http://books.openedition.org/artehis/6616>. ISBN: 9782915544718. DOI: https://doi.org/10.4000/books.artehis.6616.