Die Raubritter des Spätmittelalters – plündernde Verbrecher oder Wahrer ihrer Rechte?

Wenn man sich auch nur entfernt mit dem Mittelalter auseinandergesetzt hat, müsste einem der Begriff "Raubritter" geläufig sein. Oft hat man dann die Assoziation mit dem Bild eines verarmten Ritters, der in verbeulter Rüstung kleine Händler ausraubt oder ganze Dörfer niederbrennt. Aber stimmt dieses Bild? Wer waren diese Adligen, die sich im späten Mittelalter wie gemeine Räuber auf Passanten stürzten? Und warum machten sie das?
Zunächst muss festgehalten werden, dass das Wort "Raubritter" eine Erfindung des 19. Jahrhunderts ist. Die mittelalterlichen Quellen bezeichnen diese Handlung als "Plackerei", ein Teilaspekt der adligen Rechtsdurchsetzung. Wenn ein Adliger seine Rechte verletzt sah, hatte er unterschiedliche Möglichkeiten sich Recht zu verschaffen. Das konnten direkte Verhandlungen mit dem Streitgegner sein, Mediationsverfahren durch Vermittler, Schlichtungsverfahren durch die jeweils zuständigen Landesherren, oder ein Verfahren am Reichsgericht durch den Kaiser oder einen seiner Vertreter. Wenn dies alles nichts geholfen hat, gab es als adeliges Grundrecht noch die Möglichkeit sich selbst zu seinem Recht zu verhelfen. Dies geschah dann durch die Anwendung von Gewalt in eng gesetzten und allgemein anerkannten Grenzen.
Ein Beispiel: Wenn ein Adliger im Wald eines anderen Holz fällen ließ, war es erlaubt, unter Anwendung von Gewalt den entstandenen Schaden auszugleichen. Also das Holz zu beschlagnahmen oder eine entsprechende Summe an Vieh einzuziehen, nicht aber gleich ganze Ortschaften niederzubrennen. Ein solcher Akt hätte direkt in eine Vergeltung durch den übermäßig Geschädigten und die umliegenden Adligen gemündet. Eine Fehde konnte also gerechtfertigt sein und wäre im Einzelfall recht schnell erledigt gewesen. Natürlich konnte ein Fehdegrund auch künstlich herbeigeredet werden, sollten jedoch immer soweit nachvollziehbar sein, dass sich keine Allianzen gegen den Friedensbrecher bilden konnten.

Die Fehde von Nürnberg
Markgraf Albrecht Achilles von Brandenburg (1414-1486) war zwar selbst ein Herrscher, der vor militärischer Gewalt nicht zurückschreckte. Als Landesherr in der Markgrafschaft bemühte er sich jedoch, seine Landadligen an sich zu binden und Streitigkeiten innerhalb seines Territoriums friedlich beizulegen. Das betrieb er auch sehr erfolgreich. Gleichzeitig erkannte er, dass die enge Bindung des Adels und deren Fähigkeiten zur Fehde durchaus auch ein Machtinstrument sein konnten.

Unter seinem Nachfolger Markgraf Friedrich V. (1460-1536) wurden diese Instrumente gezielt eingesetzt. Die Markgrafen waren zwar nominell Burggrafen von Nürnberg, hatten aber tatsächlich keine Macht über das wirtschaftliche und politische Schwergewicht der Stadt.

Schon im Ersten Markgrafenkrieg (1449/50) hatten sie sich mit "ihrer" Stadt angelegt. Der fränkische Landadel war ebenfalls nicht gut auf die Reichsstadt zu sprechen. Der Nürnberger Handel schädigte ihre eigene Wirtschaft und auch durch die Geldpolitik schwand der Einfluss des Adels immer weiter.

Friedrich V. wusste, dass er einen offenen Konflikt mit der Reichsstadt nur sehr schwer würde gewinnen können, hatte aber in seiner Funktion als Landesherr ein Ass im Ärmel, das er 1499 ausspielte. Als Markgraf hatte er zwar die Aufgabe das Fehdewesen zu beenden, wenn er aber seinen ihm treu ergebenen Landadligen erlauben würde Nürnberg durch Fehden zu bekämpfen – ohne selbst Akteur zu sein – könnte er die Reichsstadt in ihre Schranken weisen.
Markgraf Friedrich: Der Strippenzieher hinter den Fehden des fränkischen Adels gegen Nürnberg (https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/6/65/FriedrichII.Markgraf.JPG)
Die Landadligen ließen sich nicht lange bitten und griffen die internationalen Verkehrsstraßen im Süden und Westen von Nürnberg an, um so die Stadt vom Außenhandel und von der Versorgung mit Rohstoffen abzuschneiden. Friedrich ließ die Fehde nicht nur zu, er erlaubte den Adligen sogar über markgräfliches Gebiet zu reisen und in markgräflichen Schlössern und Burgen unterzukommen. Das waren alles Gebiete, in denen die Nürnberger kein Zugriffsrecht hatten.

An der Fehde gegen die Nürnberger beteiligten sich auch die Herren von Giech, gut situierte Lehnsnehmer mit weiten Besitzungen in der nördlichen Fränkischen Schweiz. Christoph von Giech begründete seine Teilnahme damit, dass es sich um einen Akt von Notwehr handelte. Er versuchte sich gegen die stolzen und eitlen Nürnberger zu wehren, die sich mit ihrem Geld und Handel in der Gegend breit machten und Macht ausübten, damit sie ihre Nachbarn unterdrücken konnten und schließlich selbst adelsgleich wurden.
("...sich mit irem gutt und hendel also prayten und uffrichten, domit sie (...) ir umbsitzend nachtparn, die fürsten und die von adel, einziehen und unterdrucken und alsdann iren pracht behalten möchten")
Die gesammelte fränkische Ritterschaft war mit ihrer Guerillataktik so erfolgreich, dass sie es bis 1501 schaffte, Nürnbergs Warenverkehr zur Frankfurter Herbstmesse zu unterbinden, sowie den Lebensmittelimport zu kappen.

Im Zuge dieser Fehde gegen Nürnberg waren allerdings auch die Bistümer Bamberg, Würzburg und Eichstätt wirtschaftlich betroffen, so dass diese androhten auf der Seite der Nürnberger in den Konflikt einzugreifen. Das brachte Friedrich allerdings noch nicht zum Einlenken. Erst als die Fürsten von Kursachsen, Kurbrandenburg und Hessen vermittelten, kam es zum Friedensschluss zwischen den fränkischen "Raubrittern" und der Stadt Nürnberg. Im Erfurter Schiedsspruch vom 26. Juni 1502 wurde der Landfrieden in Franken wieder hergestellt. Friedrich versprach, dass er seine Ritter dazu bewegen wollte die Fehde zu beenden, unter der Voraussetzung, dass diese straffrei blieben.

Diese Episode in der Zeit des "Raubrittertums" im späten Mittelalter zeigt gut, dass es sich bei den räuberischen Rittern nicht um verarmte Adelige in zerbeulten Rüstungen handelte, die Bauern einen Laib Brot abnahmen. Die Fehde von Nürnberg hatte schon eher den Charakter von gut organisierten militärischen Interventionen. Die „Placker" verstanden sich – in den meisten Fällen –als Wahrer ihrer Rechte, die sich durch das Aufstreben neuer Akteure in Bedrängnis sahen und sich nur allzu gern in den Dienst eines ambitionierten Landesherren stellten.

Der Erfurter Friede hielt übrigens bis 1512.

"Das abgeschlagene Haupt eines Ritters beichtet einem Priester, Dürer 1493" Kampfdarstellung zwischen Berittenen. (Albrecht Dürer 1493. aus: W.L. Strauss, The complete engravings, etchings nd drypoints of Albrecht Dürer, Dover 2019, S.108)

Literatur:

Reinhard Seyboth, "Raubritter" und Landesherren – Zum Problem territorialer Friedenswahrung im späten Mittelalter am Beispiel der Markgrafen von Ansbach-Kulmbach, in: K. Andermann (Hrsg.), "Raubritter" oder "Rechtschaffene vom Adel"? - Aspekte von Politik, Friede und Recht im Späten Mittelalter, Sigmaringen 1997.

Joseph Morsel, "Das sy sich mitt der besstenn gewarsanig schicken, das sy durch die widerwertigenn Franckenn nitt nidergeworffen werdenn" – Überlegungen zum sozialen Sinn der Fehdepraxis am Beispiel des spätmittelalterlichen Franken, in: D. Rödel, J. Schneider (Hrsg.), Strukturen der Gesellschaft, interdisziplinäre Mediävistik in Würzburg, Wiesbaden 1996.

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