Entdeckung einer bisher unbekannten mittelalterlichen Textilwerkstatt in Oberfranken

Bei einer Ausgrabung im Landkreis Forchheim (Oberfranken) hat ein Archäologenteam von IN TERRA VERITAS vor Kurzem eine technische Einrichtung zur Herstellung von Leinen aus dem frühen 14. Jahrhundert entdeckt.
Aus der Flachspflanze wird heute noch Leinen hergestellt, meistens für Geschirrtücher oder Tischdecken, aber auch Kleidungsstücke werden aus dem Naturmaterial geschneidert. Leinen war auch im Mittelalter ein beliebter Stoff, um z.B. Unterwäsche oder Futterstoff für Mäntel herzustellen.

Ungewöhnlich gut erhalten
Die Produktion von Leinen erfordert viele arbeitsaufwendige Schritte, die sich aber nur schwer im Boden erhalten und daher archäologisch selten fassbar sind. Umso mehr haben sich die SpezialistInnen von IN TERRA VERITAS gefreut, als bei einer Grabung im Landkreis Forchheim unterhalb einer Kellertreppe eine große Grube zum Vorschein kam, deren ursprüngliche Funktion relativ schnell erkennbar war. Die ursprünglich wohl quadratische Grube war an den Rändern mit schlanken Pfosten versteift, um einen Einsturz zu verhindern. In der Verfüllung fanden sich stark vergangene Reste von Pflanzenfasern, sowie mehrere fast vollständig intakte Tontöpfe aus dem frühen 14. Jahrhundert, die ebenfalls pflanzliche Fasern und Samen beinhalteten. Sie wurden zur weiteren Untersuchung ins Labor des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege in Schloss Seehof gebracht. Mit der Analyse des Fundmaterials und durch Vergleiche konnte relativ schnell darauf geschlossen werden, dass es sich bei der Grube um eine "Rottgrube" handeln muss.

Planum auf der Sohle der Grube mit einem der Töpfe in der Wandung (Stratigraphie stark vereinfacht)
Zwei zerbrochene Töpfe, die Pflanzensamen beinhalteten

Leinengewinnung war kompliziert
Für die Herstellung von Leinen ist es wichtig, dass der hölzerne Teil der Pflanze von den Faserbündeln getrennt wird. Dies kann entweder durch eine Taurottung geschehen oder eben durch die Verwendung einer Rottgrube.
Im Correspondenzblatt des königlich Württembergischen landwirtschaftlichen Vereins, Bd. 21 von 1832, S. 258 wird der Vorgang so beschrieben: "...steckt man den Flachs, in schenkeldicke Büscheln gebunden, frisch und meistens ungeriffelt (mit den Samen) in die sogenannte Rottgrube, welche 25-30 Fuß (ca7-8m) im Durchmesser und wenigstens eine Tiefe von 4 Fuß (ca. 1,15m) hat. Man legt nämlich zuerst eine Reihe Büscheln am Ufer oder an der Seite der Grube, die Spitzen nach unten gekehrt, schräg und so tief in das Wasser, dass die Wurzelenden einen halben Fuß lang aus dem selben hervorstehen. An diese erste Reihe kommen nun die 2te, 3te, 4te u.s.f. (immer die Spitzen nach unten und die Wurzeln nach oben gekehrt) schräg zu liegen, bis zuletzt der ganze Erndte-Ertrag mit seinen Wurzelenden einen halben Fuß über dem Wasser eine waagrechte Fläche bildet.
Diese Fläche wird nun entweder mit belaubten starken Zweigen von Buchen-, Ellern-, Haselnußholz (...) oder Stroh bedeckt (...) darauf halb Fuß dicke Rasenstücke, die Grasnarbe nach unten gekehrt, gelegt, bis sie die Flachsbündel mit ihrer Decke unter dem Wasserspiegel schwimmend erhalten.
Drei Tage lang kann man die Rottgrube unbesucht lassen, dann aber erfordert sie genaue Aufmerksamkeit, um den Zeitpunkt richtig zu beurtheilen, wenn der Lein aus dem Wasser zu ziehen ist, denn er kann in 4-5 Nächten dazu geeignet seyn, wenn die Witterung warm und das Wasser weich war; wenn jedoch der Flachs nur einige Stunden zu lang im Wasser bleibt, so wird er dergestalt mürbe, daß bei seiner Bearbeitung Alles in das Werg fällt [minderwertige Qualität erzeugt wird, Anm. d. Verf.]."

Teilprofil der Grube mit jüngeren Auffüllungen (Stratigraphie stark vereinfacht)
Mit einer Tiefe von ca. 1,6 m unter dem Laufniveau des Späten Mittelalters war die Grube im Landkreis Forchheim also deutlich tiefer als die im Correspondenzblatt angegebene Mindesttiefe. Die Größe von mindestens 7 m im Durchmesser erreicht sie jedoch nicht. Offenbar war das hier zugängliche Grundwasser weich genug, um die Grubenrottung anzuwenden. Durch die Befundsituation lässt sich rekonstruieren, dass sich hier etwa um 1300 bis 1325/30 ein Textilhandwerker niedergelassen haben muss, der wahrscheinlich nicht nur Rohflachs zu Leinen verarbeitet hat, sondern wohl auch die Leinenfasern anschließend versponnen und verwebt hat.
Quelle: Leinweber Enndres Mader aus der Mendelschen Zwölfrüderstiftung 1513 Enndres Mader aus Bohnsack 1981, S14: Bohnsack: Almut Bohnsack, Spinnen und weben – Entwicklung von Technik und Arbeit im Textilgewerbe, München 1981.
Der direkte Nachweis eines solchen Handwerks ist in Nordbayern äußerst selten, da die Erhaltungsbedingungen für Pflanzenfasern hier nur sehr begrenzt gegeben sind. Mit Spannung erwarten die ArchäologInnen die Analyseergebnisse der Topfverfüllungen, um zu sehen, ob hier eventuell noch andere Pflanzen wie z.B. Hanf verarbeitet wurden.

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