Von Ägypten nach Oberfranken und in die Oberpfalz – Wie kleine Glasperlen von mittelalterlicher Weltpolitik erzählen

Glasperlen wurden seit der Frühgeschichte und auch noch im frühen Mittelalter als Schmuckstücke um den Hals getragen. Das zeigen regelmäßige Funde in Frauengräbern. Auch im frühmittelalterlichen Nordbayern trugen Frauen gerne solche Ketten, die aus nur einer Perle bestehen oder auch ganze Colliers sein konnten. Die Archäologie trifft heute in Oberfranken und der Oberpfalz immer wieder auf eine ganz bestimmte Perlenform, die es im restlichen Westeuropa (Anm.: auf dem ehemaligen Gebiet des Fränkischen Reiches) sonst nicht gibt. Diese Tatsache hat einen interessanten Hintergrund und führt bis in die große Politik der karolingischen Könige, mittelalterlicher Globalisierung und Handelsembargos.
Mosaikaugenperlen finden sich als Beigaben in Frauengräbern von Irland bis zum Kaukasus und von Norwegen bis Oberägypten. Sie haben einen gestreiften Körper mit einem zentralen Motiv aus bunten Punkten, die zusammen einem Auge ähneln. Ihre Herstellung war enorm kompliziert und das Wissen darüber nur wenigen erfahrenen Glasherstellern bekannt. Ein Kopieren der Perlen ohne die entsprechende Ausbildung und den Zugang zu den nötigen Rohmaterialien war quasi ausgeschlossen. Die Perlen wurden offenbar in nur wenigen Werkstätten hergestellt. Jeder Meister hatte dabei sein eigenes Muster, so dass jede Perlenvariante nur für einen relativ kurzen Zeitraum von wenigen Jahrzehnten hergestellt und verhandelt wurde. Reinhard Andrae konnte 1972 nachweisen, dass die Perlen von nur wenigen Handwerkern in Alexandria/Ägypten hergestellt wurden. Dort findet sich bereits in römischer Zeit eine stark ausgeprägte und hochstehende Glastechnologie. Die dort in der römischen Kaiserzeit hergestellten Millefiorigläser haben ebenfalls Gesichtsdarstellungen in derselben Technik wie die Mosaikaugenperlen. Man unterscheidet zwischen den beiden wichtigsten Hauptgruppen: Mosaikaugenperlen mit einem blauen Körper (sie datieren in das letzte Drittel des 8. Jahrhunderts, ca. 760/770 - 800) und jüngere Perlen mit grünem Hintergrund (diese wurden ca. 800 bis 830 hergestellt).
Schematische Darstellung der unterschiedlichen Mustergruppen nach Reinhard Andrae. (Quelle: Reinhard Andrae, Mosaikaugenperlen – Untersuchungen zur Verbreitung und Datierung karolingerzeitlicher Millefioriglasperlen in Europa, Taf.1. In: von Müller et al. (Hrsg.): Acta Praehistorica et Archaeologica, Bd. 4, Berlin, 1973.)
Mosaikaugenperlen aus dem Reihengräberfeld von Matzhausen, Lkr Neumarkt (Quelle: Armin Stroh, Die Reihengräber der karolingisch-ottonischen Zeit in der Oberpfalz, Kallmünz 1954, S.50 (Farbtafel)

Kleine Perlen und große Politik
Die älteren blauen Mosaikaugenperlen finden sich im Frankenreich erstmals als Karl der Große kurz vor 800 diplomatische Kontakte zum Kalifen von Bagdad Harun al-Raschid aufnahm. Die beiden Herrscher besprachen sich über ein gemeinsames Vorgehen gegen ihre Feinde in Spanien und Byzanz. Dabei wurden Gastgeschenke ausgetauscht und Handelsabkommen geschlossen – die ersten seit der Eroberung Ägyptens durch die Araber, bzw. seit der Machtübernahme der Karolinger von den Merowingern. Als dann jedoch Karls Sohn Ludwig der Fromme 814 das Reich übernahm, hat er den Handel mit den "heidnischen" Arabern verboten. Genau in diesem Zeitraum fand auch der Wechsel von den älteren blauen Perlen hin zu den grünen statt. So gibt es auf dem gesamten Gebiet des Fränkischen Reiches keine Funde von grünen Mosaikaugenperlen, bis auf einer Ausnahme: dem östlichen Oberfranken und der Oberpfalz. So erfolgreich das Handelsembargo im restlichen Reich scheinbar auch war, galt dies offensichtlich nicht für die Randbereiche im Osten, wo es gute Handelsverbindungen nach Böhmen und Mähren gab. Offenbar war die Kontrolle der Grenzgebiete durch die karolingische Zentralmacht nicht ausreichend stark und der Zugang zu den begehrten Perlen noch soweit möglich, dass ein Handel über Böhmen, Mähren, den Balkan und Konstantinopel nach Alexandria – also unter Umgehung des Karolingischen Reiches - möglich war.

Ähnliche Beiträge