War es Frau oder Mann? – Geschlechtsbestimmung bei Knochenfunden

Bei archäologischen Menschenknochenfunden bzw. Skelettresten ist die biologische Geschlechtsbestimmung meist gar nicht so einfach, wie man annehmen möchte. Frauen und Männer sind sich innerlich wesentlich ähnlicher als äußerlich. Dennoch gibt es einige Merkmale am Skelett, die eine Unterscheidung möglich machen. Diese Merkmale müssen bei jedem Fund sorgfältig untersucht werden.
Bei vollständigen Skeletten werden alle Merkmale gründlich untersucht und mit Punkten versehen, die dann zusammen gewichtet werden. In den meisten Fällen reicht das aus, um das Geschlecht einer Person zu bestimmen. Da archäologische Skelettreste jedoch selten vollständig sind und oft an den ungünstigsten Stellen brechen, ist eine vollständige Auswertung selten möglich. Außerdem ist die Geschlechtsbestimmung über das Skelett nur bei erwachsenen Individuen relativ verlässlich möglich.

Der Schädel
Mehrere Merkmale des Schädels können auf das biologische Geschlecht eines Individuums hinweisen. Im Allgemeinen ist der Schädel eines Mannes größer und robuster als der Schädel einer Frau. Ebenso gibt es Unterschiede beim Knochenkamm oberhalb der Augenhöhle (supraorbitaler Grat), dem Augenhöhlenrand, dem sogenannten Warzenfortsatz im Bereich des Ohrs und bei der Form des Unterkiefers. Das Problem ist, dass bei weitem nicht alle Menschen so eindeutige weibliche oder männliche Merkmale aufweisen, weshalb eine eindeutige Geschlechtsbestimmung über den Schädel oft nicht möglich ist.

"Schulbuchbeispiel" eines männlichen und eines weiblichen Schädels, bei dem die Unterschiede deutlich sichtbar sind.

Das Becken
Bei der Geschlechtsbestimmung gilt das Becken als zuverlässigste Quelle. Die Archäologie bzw. Anthropologie setzt dabei am häufigsten auf die Breite der großen Ischiaskerbe. Je breiter die Kerbe ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass es sich um eine Frau handelt. Das ist zwar nicht das zuverlässigste Merkmal, aber das am häufigsten erhaltene bei Skelettfunden. Auch hier besteht jedoch das Problem, dass diese Merkmale oft nicht eindeutig sind. Außerdem ist das Becken sehr zerbrechlich und wird oft bei der Exhumierung zerstört, wenn nicht schon vorher z.B. durch das Einbrechen des Sargdeckels und den dabei entstehenden Brüchen am Skelett.

Das zuverlässigste Indiz am Becken ist das Schambein. Der weibliche Schambeinkörper ist breit und länglich, und der Ramus ischiopubicus ist konkav. In diesem Bereich lassen sich noch mehr Unterscheidungsmerkmale beobachten. Leider ist das Schambein oft schon gebrochen oder bricht während der Ausgrabung, so dass eine verlässliche Geschlechtsbestimmung schwierig bis unmöglich ist.

Das Bild zeigt die Punktzahl von 1-5, wobei 1 eindeutig weiblich ist und die höheren Zahlen eher männliche Merkmale anzeigen.
Schambereich / Ramus ischiopubicus

Oberschenkelmessungen
Bei der Geschlechtsbestimmung über Röhrenknochen wird am häufigsten der Oberschenkelkopf verwendet. Je größer dessen Durchmesser ist, desto wahrscheinlicher handelt es sich um einen Mann. Da auch dieser Wert meist keine eindeutige Aussage liefert, wird er meist als Unterstützung für die übrigen Merkmale herangezogen.

Erklärung zum nebenstehenden Bild:
Ausschlaggebend ist der Durchmesser des Oberschenkelkopfes zwischen den Punkten E und F. Dieser wird wie folgt interpretiert:

Ist er geringer als 43mm, handelt es sich wahrscheinlich um eine Frau.

Ist er größer als 47mm handelt es sich wahrscheinlich um einen Mann.

Bei 50mm und mehr handelt es sich eindeutig um einen Mann.

Eine Geschlechtsbestimmung archäologischer Skelettfunde ist zweifellos nicht immer einfach. Doch die Mühe ist es wert, um ein besseres Verständnis des Menschen und auch der Kultur und Gesellschaft, in der sie oder er lebte zu erhalten.

Bildherkunft:
Fotografien: White, Black & Folkens 2012 - Human Bone Manual, Third Edition.
Skizze der Oberschenkelknochenmessungen: Bass 2005 - Human Osteology.

Quellen:
Bass 2005 – Human Osteology
Buikstra & Ubelaker 1994 - Standards for data collection from human skeletal remains
White, Black & Folkens 2012 – Human Bone Manual, Third Edition

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