Vergessene Handarbeiten aus der Vergangenheit: Nadelbinden (Teil 1)

Archäologische Funde von Kleidungsresten oder Werkzeugen zur Textilienherstellung geben nicht nur Auskunft darüber, wie sich die Menschen damals gekleidet hatten. Interessant ist dabei auch, mit welchen Handarbeitstechniken die Kleidung hergestellt wurde, die heute fast völlig vergessen sind. Im ersten Teil geht es um das Nadelbinden.
Stricken kennt jeder, doch kaum einer kennt die viel ältere Technik des Nadelbindens – oft auch Nålbinding. Während das Stricken in Europa erst im späten Mittelalter populär wurde ist die Technik des Nadelbindens schon seit der Steinzeit in Verwendung. Die frühesten archäologischen Funde belegen das Nadelbinden bereits im Mesolithikum. So zum Beispiel ein Bastnetz aus dem brandenburgischen Friesack und mehrere Textilstücke aus Vig in Dänemark, die auf 4200 v. Chr. datiert werden konnten.

Beim Nadelbinden benutzt man eine große Nadel mit Öhr und einen Arbeitsfaden (im Gegensatz zum Endlosknäul beim Stricken). Das Garn wird nun immer wieder komplett durch entstehende Schlaufen gestochen und auf diese Weise reiht sich ein Knoten an den anderen. Normalerweise wird in fortlaufenden Runden gearbeitet und es ist ähnlich zum Stricken oder Häkeln eine Zunahme oder Abgabe von Schlaufen möglich. Der große Unterschied – und damit Vorteil – des Nadelbindens zum Stricken ist, dass man Knoten und keine Maschen produziert. Diese Knoten lösen sich nicht, wenn ein Loch entsteht, und es besteht keine Gefahr einer Laufmasche. Löcher oder abgenutzte Stellen lassen sich problemlos flicken. Der Nachteil ist allerdings der erhöhte Zeitaufwand, welcher das Nadelbinden mit sich bringt. Es dauert deutlich länger eine Socke nadelzubinden als zu stricken.

Je nachdem welche Stichtechnik verwendet wird, kann ein nadelgebundenes Textil elastisch oder sehr fest werden und verschiedene Muster aufweisen. Archäologisch belegte Funde mit verschiedenen Sticharten finden sich unter anderem in York (Socke, 10. Jahrhundert), Oslo (Fäustling, undatiert), Åsle/ Schweden (Fäustling, 16.- 17. Jahrhundert), Mammen/Dänemark (Verzierung auf einer Prachttunika, 10. Jahrhundert), sowie wenige erhaltene koptische Socken aus dem 4. - 5. Jahrhundert.
Nadelgebundene Socke und Stulpe, verschiedene Stiche (Foto: privat)
Besonders populär wurde die Technik aufgrund ihrer Robustheit in den skandinavischen Ländern, allerdings gibt es auch Funde auf den britischen Inseln und dem europäischen Festland. Besonders in Finnland lebt die Tradition des Nadelbindens bis heute weiter. Dort gibt es das Sprichwort: „Wer gestrickte Handschuhe trägt, hat eine ungeschickte Ehefrau". Es bringt zum Ausdruck, dass Nadelbinden zwar aufwendiger ist und mehr Geschick verlangt, aber qualitativ deutlich über dem Strickwerk steht.

Literatur
K. Kania, Kleidung im Mittelalter. Materialien- Konstruktion- Nähtechnik. Ein Handbuch. (Köln, Weimar, Wien 2010)
Ulrike Claßen-Büttner, Nadelbinden – Was ist denn das? Geschichte und Technik einer fast vergessenen Handarbeit. Isenbrunn 2012

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