Vergessene Handarbeiten aus der Vergangenheit: Fingerschlaufenflechten (Teil 4)

Archäologische Funde von Kleidungsresten oder Werkzeugen zur Textilienherstellung geben nicht nur Auskunft darüber, wie sich die Menschen damals gekleidet hatten. Interessant ist dabei auch, mit welchen Handarbeitstechniken die Kleidung hergestellt wurde, die heute fast völlig vergessen sind. Im vierten Teil geht es um das Fingerschlaufenflechten.
Archäologisch gesehen lässt sich diese Technik nur schwierig nachweisen, da keinerlei Gerätschaften zum Flechten benötigt werden. Es können also nur geflochtene Bänder als Nachweis dienen und dann ist es unter Umständen nicht möglich zu bestimmen, ob ein Band mit Schlaufen oder mit einzelnen Fäden geflochten wurde. Frühe Funde von Fingerschlaufenbänder stammen aus der eisenzeitlichen Salzmine von Hallstatt/ Österreich. Diese Bänder wurden über Radiocarbon in die Jahre 800 bis 500 v. Chr. datiert.

Anstatt einzelne Fäden wie beim normalen Flechten zu verwenden, legt man die Fäden doppelt, bindet die offenen Enden irgendwo fest und legt sich die Schlaufen um die Finger. Auf diese Weise werden zwei Fäden gleichzeitig geflochten, wodurch runde und flache Bänder hergestellt werden können. Die Anzahl der Schlaufen kann dabei stark variieren. Eine Person webte mit mindestens 3 und maximal 8 Schlaufen gleichzeitig, da man die Daumen für die Aufnahme der Schlaufen nicht nutzen kann. Es scheint jedoch, dass Fingerschlaufenflechten auch von mehreren Personen durchgeführt werden konnte, worauf der Fund eines Bandes mit 20 Schlaufen hindeutet.

Jeder Finger (außer die Daumen) hält eine Schlaufe und man beginnt die Schlaufen in einer bestimmten Reihenfolge zwischen den Fingern der beiden Hände hin und her zu flechten. Durch das Ausbreiten der Arme werden die Verflechtungen festgezogen. Auf diese Weise entsteht je nach Technik ein rundes oder flaches Band. Möchte man lange Bänder flechten ist Hilfe nötig, da man aufgrund der langen Schlaufen am Anfang des Bandes die Arme nicht weit genug spreizen kann, um das Geflochtene festzuziehen. Je kürzer die Schlaufen, desto einfacher wird es die Bänder nachzuziehen.

Schema Fingerschlaufenflechten und Funde aus London (Crowfoot, 1992, S. 139)

Fingerschlaufengeflochtene Bänder waren besonders ab dem Hochmittelalter als Nestelbänder beliebt. Sie dienten als Verschlussband für körperbetonte Kleidung und erlaubten den TrägerInnen etwas mehr Freiraum bei ihren Bewegungen. Diese Nestelbänder dienten durchaus als modisches Accessoire und wurden an den Enden mit metallenen Hülsen, den Nestelspitzen versehen. Geflochtene Bänder dienten auch als Verschlüsse und Tragebänder für Beutel und kleine Taschen, sowie als Haltegürtel für Bruchen (Unterhosen). Ausgrabungen in London haben auch Funde zu Tage gebracht, die zeigen, dass sie außerdem als Abschlussbänder von Haarnetzen dienten.


Literatur
K. Kania, Kleidung im Mittelalter. Materialien- Konstruktion- Nähtechnik. Ein Handbuch. (Köln, Weimar, Wien 2010)
E. Crowfoot, F. Pritchard, K. Staniland, Textiles and clothing c.1150- c.1450; In: Medieval finds from London: 4 (London, 1992)
K. Grömer, K. Kania, J. Boutrup, Iron Age Finger- Loop Braiding: Findsfrom the Hallstatt Salt Mine; In: Archaeological Textiles Revies Nr. 57 (Kopenhagen, 2015)