Menschenopfer in Nordbayern

»Vor etwa 3000 Jahren irgendwo in Nordbayern. Die Leiche eines erwachsenen Mannes wird im nächtlichen Fackelschein vor eine Höhle gezerrt. Einige der Beteiligten greifen zu Äxten und Messern und trennen sämtliche Körperteile oberhalb des Brustkorbs und unterhalb der Kniegelenke ab. Der Schädel wird mit stumpfer Gewalt zertrümmert. Die Überreste werden in die Höhle geworfen, gefolgt von weiteren Tier- und Sachopfern. Zahlreiche Zuschauer verfolgen die Bluttat andächtig wie eine religiöse Opferzeremonie.« So zeigt es zumindest eine künstlerische Darstellung einer Opferszene, wie sie etwa 1300 – 800 v.Chr. in der Oberpfalz stattgefunden haben könnte.

Immer wieder finden Forscher menschliche Knochen, die auf Opferung hindeuten. Als Opfer (lat. operari: handeln/arbeiten) wird die Darbringung einer Gabe an eine göttliche Macht verstanden. Bei Menschenopfern spielt die rituelle Tötung als Kulthandlung eine zentrale Rolle. Genauer betrachtet zeigt sich, dass diese Kulthandlungen verschiedenen Motiven und Zielen unterliegen und auch unterschiedlich ausgestaltet sein können. Es lassen sich mehrere Formen von Menschenopfern unterscheiden:

  • Kannibalismus (Anthropophagie)
  • Bauopfer
    (Opferung und Deponierung eines Menschen zum Wohl eines neu errichteten Bauwerks)
  • Machtopfer
    (Versuch durch das Vernichten einer Energiequelle eine andere Energiequelle zu aktivieren)
  • Kopfjagd und Trophäen
  • Schädelbecher
  • Schädelamulette und Trepanationsscheiben
    (Trepanation: Öffnung des Schädels eines lebenden Menschen und herausschneiden oder bohren eines Loches zum Zwecke der Heilung)
  • Opferung von Kriegsgefangenen
  • Ahnenverehrung, sowie Totenfolge
    (Mitbegraben einer getöteten oder lebendigen, nahestehenden Person / meist Frau oder Diener)
  • Totenhochzeit
    (Opferung einer Frau an verstorbenen Junggesellen, die an seinem Grabe noch mit ihm verheiratet wird)
  • Witwenopfer
    (Witwe folgt dem verstorbenen Gatten ins Grab)

Hinweise in schriftlichen Quellen
Einige Praktiken von Menschenopfern sind in historischen Schriften festgehalten worden. Diese entsprechen aber sicherlich nicht immer ganz der Wahrheit, da sie auch propagandistisch genutzt wurden, um bestimmte Völker und Gruppen besonders barbarisch aussehen zu lassen. Bereits im Alten und Neuen Testament sowie in griechischen Sagen und allgemein in antiker Geschichtsschreibung über diverse Völker sind Menschenopfer überliefert. So wird nicht nur den Germanen und Kelten sondern auch den Mongolen, Skythen und Christen eine entsprechende Opferpraxis nachgesagt. Die christlichen Gottesdienste etwa des 2. und 3. Jahrhunderts n.Chr. sollen ritualisierte Kindermorde beinhaltet haben, um das in Blut getauchte Brot zu verzehren. Im griechisch-römischen Volksglauben galten zum Beispiel die Seelen frisch ermordeter Kinder als Rachegeister mit besonders guter Wirkung für Schadenszauber und Wahrsagung. Über vermeintliche germanische Bräuche schreibt Diodor im 1. Jahrhundert v.Chr.:
"Besonders haben sie für gewisse wichtige Fälle eine höchst auffallende und kaum glaubliche Art, das Zukünftige zu erforschen. Sie weihen nämlich einen Menschen und stoßen ihm dann ein Schwert in die Brust oberhalb des Zwerchfells, und indem das Opfer getroffen zusammenstürzt, erkennen sie aus der Art und Weise, wie er niederfällt, sowie aus den Zuckungen der Glieder und dem Ausströmen des Blutes das Zukünftige, wobei sie einer alten und durch lange Beobachtungen erprobten Erfahrung Glauben schenken."

Zu den Kelten schreibt der gleiche Autor, dass sie ihre Gefangenen nach fünf Jahren zu Ehren der Götter auf Pfähle spießen und gemeinsam mit anderen Opfergaben auf Scheiterhaufen verbrennen. Archäologische Zeugnisse aus Frankreich (Ribemont-sur-Ancre; Gournay-sur-Aronde) weisen auf solche Praktiken mit Kriegsgefangenen hin.

Archäologisch schwierig nachzuweisen
Grundsätzlich ist es für die Archäologie jedoch eher schwierig Menschenopfer nachzuweisen. Zwar sind Funde von Menschenknochen in ungewöhnlicher Lage, an einem ungewöhnlichen Ort oder sogar mit Schnittspuren bekannt. Allerdings kann daraus nicht gleich auf Menschenopfer oder gar Kannibalismus geschlossen werden. In solchen Fällen kann es sich ebenso um Sonderbestattungen, Opfer von Gewalttaten oder Entsorgung von Seuchenopfern oder Kranken handeln. Eine Unterscheidung von Menschenopfern ist dabei nahezu unmöglich. In Franken und der Oberpfalz finden sich derartige Hinterlassenschaften in mindestens 19 Höhlen und Siedlungen der Vor- und Frühgeschichte, von der Linearbandkeramik bis in die Römische Kaiserzeit, also von 5500 v.Chr. bis in das 3. Jahrhundert n.Chr.

Beispiele aus Nordbayern
Die eingangs geschilderte Darstellung basiert auf einem eindrücklichen Beispiel eines Opferfundes im oberpfälzischen Landkreis Amberg-Sulzbach. In einer Höhle wurden die Überreste eines Torsos, sowie die abgetrennten Gliedmaßen und der zertrümmerte Schädel eines erwachsenen Mannes aus der Urnenfelderzeit gefunden. Die Rekonstruktion zeigt, dass zunächst vermutlich Feuerbrände durch einen Schacht in die Höhle geworfen wurden.
Danach erfolgte die Deponierung der menschlichen Überreste und schließlich wurden auch Tier- und Sachreste geopfert. Die Hinterlassenschaften wurden mit einer Lehmschicht abgedeckt und versiegelt.
Auch Trepanationsscheiben, also aus dem Schädel herausgeschnittene Knochenscheiben, finden sich allein in Franken an mindestens acht verschiedenen Orten. Ob es sich dabei um Relikte medizinischer Eingriffe oder ritueller Handlungen handelt, kann nicht geklärt werden. Möglicherweise trifft auch beides zugleich zu.

Neue Deutungsansätze zu den Höhlen im Fränkischen Karst werden aktuell auch an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg untersucht. Das Forschungsprojekt beschäftigt sich mit der Frage, warum wir in Höhlen immer wieder menschliche Überreste, Keramikscherben und andere archäologische Hinterlassenschaften finden. Es interessiert besonders dabei, ob es sich immer um rituelle Opferungen und Bestattungen handelt oder ob es auch andere Gründe für die nacheiszeitliche Nutzung der fränkischen Höhlen gibt.

Literatur
M. M. Rind, Menschenopfer. Vom Kult der Grausamkeit (Regensburg 1996).
Ph. Burgdorf et al., Die Höhlen der Nördlichen Frankenalb. Zwischen Kult und Bestattung. In: H. Meller et al (Hrsg.), Rituelle Gewalt – Rituale der Gewalt.Tagungen des Landesmuseums für Vorgeschichte Halle 22 (Halle/Saale 2020), 363-378.
www.hoehlenfunde.hypotheses.org