Die Rolle der Frau in der Steinzeit … ganz anders als bisher gedacht. (Teil 1/2: Die Sicht der Archäologie)

Bis heute hält sich hartnäckig das Bild von steinzeitlichen Jägern und Sammler(innen). Mutige Männer jagen Mammuts und das schwache Geschlecht eignet sich bestenfalls zum Sammeln von Beeren. (Wobei hier noch erwähnt sein sollte, dass gesammelte pflanzliche Nahrungsmittel nicht minder bedeutsam für die Ernährung und das Überleben vor- und frühgeschichtlicher Kulturen waren.) Diese Vorstellung stammt aus dem 19. Jahrhundert und ist bis heute in unseren Köpfen verankert. Doch war es wirklich so?
Belegt ist, dass die Menschen in der Steinzeit von Jagd, Fischfang und pflanzlichen Nahrungsmitteln lebten. Doch die archäologisch nachgewiesenen Speisereste lassen nicht erkennen wer diese gejagt, erlegt oder gesammelt hat. Auch die erhaltenen Waffen, wie Harpunen und Speere geben uns keine Auskunft über ihre Benutzer(innen). Auch über Gräber und deren vermeintlich geschlechtsspezifischen Grabbeigaben können nur wenige Rückschlüsse gezogen werden, da zu wenig belastbare Daten vorliegen. Eine geschlechtsdifferenzierte Arbeitsteilung kann bisher archäologisch schlichtweg nicht belegt werden.

Woher kommt dann das Bild der jagenden Männer und sammelnden Frauen?
Die Grundlage der Idee von geschlechtsdifferenzierten Rollenverteilungen sind ethnografische Reiseberichte, wie zum Beispiel von Claude Lévi-Strauss. Viele Verfasser schrieben aus ihrem patriarchalisch geprägten Selbstverständnis heraus und damit subjektiv und wertend. Die Berichte zeichneten oft ein verzerrtes Bild und fußten auf dem weithin verbreiteten Rollenbild von Männern als Versorgern und Frauen als Hausfrauen.

Es war wohl ganz anders
Neue ethnografische Untersuchungen aus Afrika, Amerika und Australien zeigen, dass es in außereuropäischen Kulturen durchaus jagende Frauen gab und gibt. So beteiligen sich bei diversen Pygmäengruppen sowohl Männer, Frauen als auch Kinder ab fünf Jahren an der Netzjagd. Frauen nehmen hier bereits wenige Tage nach einer Geburt wieder an der Jagd teil.
Archäologische Forschungen in Nord- und Südamerika ergaben eine fast gleichwertige Rollenverteilung. Von 429 untersuchten steinzeitlichen Individuen konnten 27 der Jägerrolle zugeordnet werden. Davon waren 11 weiblich und 16 männlich!

Gemischte Gruppe von jagenden Menschen (Zeichnung von Andreas Fischer, IN TERRA VERITAS Bamberg)

Veraltete Rollenbilder beeinflussen auch bzgl. anderer Epochen die geschichtswissenschaftliche Interpretation. So zum Beispiel bei keltischen Fürstengräbern. Oder sollte man dann doch eher von Fürstinnen- und Fürstengräbern sprechen?
Zwar weiß man schon länger auch von keltischen Fürstinnen, wie z.B. die Grabstätte von Vix in Frankreich belegt, doch werden Bestattungen häufig nach Geschlechterklischees beurteilt. Finden sich beispielsweise in einer Grabkammer eine Frau und ein Mann ist unweigerlich klar, dass der Mann der Fürst gewesen sein muss und die Frau ihm ins Grab folgte. Und selbst bei der Fürstin von Vix finden sich in den bildlichen Rekonstruktionsdarstellungen veraltete Vorstellungen darüber wie eine Frau auszusehen hat.

Archäologische Geschlechterforschung wird im deutschsprachigen Raum bereits seit 30 Jahren praktiziert. Die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit erhielt dieser Forschungszweig allerdings zunehmend erst vor wenigen Jahren.

Literatur:
B. Röder (Hrsg.), Ich Mann. Du Frau. Feste Rollen seit Urzeiten? Begleitbuch zur Ausstellung des Archäologischen Museums Colombischlössle (Freiburg i.Br. 2014).
R. Haas, J. Watson, T. Bounasera, J. Southon, J.C. Chen, S. Noe, K. Smith, C.V. Llave, J. Eerkens, G. Parker, Female hunters of the early Americas. Science Advances 6, eabd0310 (2020).
B. Röder, Beutejäger und Nesthüterin. Trügerische Orientierung an einem steinzeitlichen Traumpaar. In: B. Rendtorff, C. Mahs, A.-D. Warmuth (Hrsg.), Geschlechterverwirrungen. Was wir wissen, was wir glauben und was nicht stimmt (Frankfurt a.M. 2020), 69-76.
https://www.zeit.de/kultur/2020-08/geschlechterklischees-archaeologie-kelten-graeber-kulturhistorische-deutung-patriarchat