Schlafen im Spätmittelalter – Die Rekonstruktion einer authentischen Bettausstattung

Es hält sich die hartnäckige Mär, dass man im Mittelalter bestenfalls auf einem Strohsack auf dem Boden schlief und sich mit seinem Mantel zudeckte. Doch dutzende, wenn nicht hunderte Illustrationen in mittelalterlichen Handschriften zeigen aufwändige Bettkonstruktionen mit heute vertrauter Ausstattung. Doch wie genau war so ein spätmittelalterliches Bett aufgebaut? Ein Blick in die Quellen und ein Rekonstruktionsversuch sollen eine Antwort geben.

Bei genauerer Betrachtung der historischen Illustrationen, vorbei an den bunten und oft gemusterten Kissen und Bettdecken in allen Farben, kommen gelegentlich noch weiße Ränder und Zipfel vor. Doch ob es sich dabei um Matratzen, Laken oder Federbetten handelt, ist heute schwer zu sagen. Die Abbildungen sind im Wortsinn nur oberflächlich.

Worauf man lag, wie es darunter aussah und wie die Betten konstruiert waren, darüber geben uns eine ganz andere Art von Schriftquellen Auskunft: Inventare und Testamente. Denn diese dokumentieren sachlich und nüchtern, was neben den sichtbaren Kissen und Decken noch zu einem Bett gehört.

Geburt Mariens, Meister des Marienlebens, 1470er/80er Jahre (Quelle: https://www.sammlung.pinakothek.de/de/artwork/XR4M7qVLQ1/meister-des-marienlebens/marienleben-geburt-mariens. Stand: 10.06.2022 CC BY-SA 4.0)

Was uns die historischen Quellen verraten
Der hier vorgestellte Vorschlag einer Rekonstruktion, basiert auf Angaben aus einer Dissertation zur materiellen Kultur in den Lüneburger Testamenten zwischen 1323 und 1500.1 Diese Quellen sind auch deshalb besonders interessant, da sie auch die Nachlässe von einigen Knechten, Bediensteten, Handwerkern und auch allgemein von Stadtbewohnern ohne Bürgerrechte beinhalten.2 Ebenso finden sich unter den Begünstigten neben Familienmitgliedern und Bekannten, was man erwarten darf, wiederum Knechte und Mägde.3 Damit gewähren die Lüneburger Testamente einen Blick in die Kammern und Stuben der Unterschicht und der unteren Mittelschicht einer spätmittelalterlichen Stadt.4
Es zeigt sich, dass das Schlafen im Bett, mit allem was dazu gehört, in allen Bevölkerungsschichten der Normalfall war. Und auch die textile Ausstattung bürgerlicher Betten war reichhaltig: Strohsack, Federbett, Polster, Kissen, Laken und Decke. Gelegentlich treffen die Testamente auch Aussagen über Material, Qualität und Farbigkeit.5

Der Aufbau eines Bettes ist zu großen Teilen logisch und selbsterklärend. Dass der Strohsack ganz unten liegen muss, versteht sich von selbst. Und dass Decke und Kissen ganz oben sind, ist – nicht anders, wie heute – ihrem Sinn und Zweck geschuldet. Aber was ist mit Laken und Federbett?

Das verrät Endres Tucher – von 1464 bis 1475 Baumeister der Stadt Nürnberg – in seinem "Baumeisterbuch der Stadt Nürnberg". Darin beschreibt er, wie das Bett des Kaisers im Jahr 1471 in dessen „Grüner Kammer" hergerichtet war.
«item in des keisers grün kamer des keisers groß spanpet, 1 strohsack, 2 federpet ob einander, 4 leilach dorauf gepreit, von golcz 1 polster, 2 küss uberzogen mit golcz und tolden von weissen garen an den zipfelen, doruber gedeckt ein roten seiden golter; umb das pet was ein furhang von ploben scheter gemacht, und 2 nider penck auf den peden seitten desselben spanpecz. ( ... ) »

Im großen kaiserlichen Spannbett in der „Grünen Kammer" lag also ganz unten ein Strohsack. Darauf zwei Feder(unter)betten, gefolgt von vier (2 Paar) Leinentücher. Darauf ein Polster und zwei Kissen und zuletzt eine Decke. Um das Bett gab es einen Vorhang und an beiden Seiten standen niedrige Bänke.6 Tucher beschreibt im Baumeisterbuch aber nicht nur die Kammer des Kaisers. Er inventarisiert nahezu die gesamte Kaiserburg. Darunter über ein Dutzend weiterer (Schlaf-)Kammern, entlang der Gänge und Treppen. Unter ihnen auch welche, die dem Dienstpersonal zugewiesen waren. In allen finden sich neben Tischen und Bänken auch immer Spannbetten mit mindestens einem Unterbett, einem Paar Laken, Polster, zwei Kissen und einer Decke.7 Entlang der Seiten gab es auch immer niedrige Bänke.
Bei den Laken wird angenommen, das eines als Bedeckung des Unterbettes verwendet wurde und das andere als Überschlagbettuch für die Decken.8 Man schlief also zwischen den beiden Leinentüchern.
Auch der Nürnberger Dichter und Meistersinger Hans Folz (1440-1513) berichtet in seinem „Hausratsbüchlein" von Strohsack und Matratze, Decke, Kissen, Polstern und Leinentüchern, in den Spanbetten der Nürnberger Bürger.9
Zusammenfassend kann also angenommen werden, dass die Menschen im Spätmittelalter alle in gleichartigen Betten schliefen. Ob Kaiser, Bedienstete, Bürger, Knechte oder Mägde. Lediglich die Menge an Unterbetten und Kissen und besonders die Qualität der verwendeten Materialien unterschied sich dabei.

Eine Rekonstruktion
Der Vorschlag einer Rekonstruktion eines idealtypischen Bettes, wie es in den Schlafkammern spätmittelaltetlicher Bürgerhäuser gestanden haben könnte.10

Strohsack und Unterbett

Die Basis einer Bettkonstruktion bildete das Bettgestell mit einem Rost aus Holzlatten oder gespannten Seilen (auch Gurten). Direkt darauf lag ein Strohsack, der mit einem Unterbett abgedeckt wurde. Dabei dürfte es sich um eine fest mit Daunen/Federn gefüllte Hülle (Matratze) gehandelt haben.

Die Rekonstruktion besteht aus zwei rechteckigen Hüllen, aus dicht gewebten Leinen. Eine in schwerer Qualität und mit Stroh gefüllt für den Strohsack, die andere in mittlerer Qualität und mit Federn gefüllt, für das Unterbett.

Laken

Über Strohsack und Unterbett wurden die Laken gebreitet, bei denen es sich um zwei paarweise zusammengehörige Tücher aus Leinen handelte. Es wird angenommen, dass eines der Laken als Bedeckung der Bettunterlage und das andere als Überschlagtuch für die Decke verwendet wurde.

Die Laken aus mittelschwerem Leinen, sind hier aus einer etwa bettbreiten Bahn geschnitten und nur an den beiden Enden gesäumt.

Polster

Unter diesem Begriff sind mehr oder minder bettbreite Polsterkissen zusammengefasst, die am Kopfende des Bettes und somit unter dem oberen Rücken lagen, um eine erhöhte Liegeposition zu erzeugen. Man kann dabei schon fast von einer Art Sitzen sprechen. Allerdings begann im 15. Jahrhundert dieser Sitzwinkel flacher zu werden, so dass eine zunehmend horizontale Körperlage möglich wurde. Je nach Breite des Bettes und gewünschter Liegehöhe variierte die Anzahl der Polster.

Das hier verwendete Polster ist ein langes rechteckiges Inlett aus festem Leinen und mit Federn gefüllt. Das Polster steckt in einem Überzug aus Leinenköper mit Webmuster. An einer Seite ist der Überzug mit einer Nestelschnur verschlossen.

Kissen

Die Kissen fielen kleiner als die Polster aus und lagen vor ihnen oder darauf. Die Größen waren dabei unterschiedlich. Die Kleinsten lagen ganz oben und dienten als sogenannte Kopf- oder Wangenkissen zur Auflage des Kopfes und Repräsentationsfunktion.

Decken

Gemeint waren wohl eine oder mehrere, von Überschlaglaken aus Leinen geschützte Decken. Meist aus Wolle, seltener auch aus Seide, Pelz oder – ähnlich wie das Unterbett – mit Federn gefüllt. Mit Federn gefüllte Bettdecken dienten wohl primär dem Kälteschutz. Materialien wie Wolle oder Seide waren dagegen auch Repräsentationsobjekte.

In den drei hier verwendeten Kissen stecken quadratische, mit Federn gefüllte Inletts aus festem Leinen in zwei verschiedenen Größen. Die zwei großen Kissen haben schlichte Überzüge aus weißem Leinen und sind lediglich mit wenigen Steppstichen verschlossen. Das kleinere Wangenkissen steckt ebenfalls in einer Leinenhülle, die aber auf einer Seite mit Wollgarn bestickt ist und Quasten an den vier Zipfeln hat. Es ist mit einer Nestelschnur verschlossen. Die hier verwendete Decke besteht aus mit Krapp gefärbter Schurwolle in Leinwandbindung.

Von unserem Gastautor Oliver Rausch
Rekonstruktion: Claudia Zimmermann


Literatur:
1) Mosler-Christoph, Susanne: Die materielle Kultur in den Lüneburger Testamenten 1323 bis 1500. Dissertation, 1998. URL: https://ediss.uni-goettingen.de/bitstream/handle/11858/00-1735-0000-0022-5D36-0/mosler_re.pdf?sequence=1. Stand: 10.06.2022
2) Ebd., S. 28f
3) Ebd., S. 152
4) Ebd., S. 29
5) Ebd., u.a. S. 151
6) Tucher, Endres und Weech, Friedrich von, Baumeisterbuch der Stadt Nürnberg (1464-1475). Lexer, Matthias (Hrsg.). Stuttgart 1862. https://opacplus.bsb-muenchen.de/title/BV000940518, Stand 10.062022. S. 299
7) Ebd.: S. 298ff
8) Mosler-Christoph, Susanne 1998, S. 149
9) Uta Piereth, Betten fränkischer Fürsten im Spätmittelalter. In: In Situ, 40-2019. URL: https://journals.openedition.org/insitu/23604, Stand 10.06.2022. Kapitel 7
10) Mosler-Christoph, Susanne 1998, S. 148-155

Ähnliche Beiträge